Tango
Text und Bilder: AW
Schon etwas verrückt, wenn man sich das gleiche Konzert relativ kurz nach einander zweimal anhört. Oder hat es wohl etwas mit Glück zu tun, wenn sich eine Gelegenheit ein weiteres Mal bietet und man dieses wahrnimmt?
Wir hatten jedenfalls gestern - am 12.6.2015 - die Gelegenheit mit der Westdrift-Redaktion, das am Samstag den 21.3.2015 im Staatstheater Karlsruhe von mir schon einmal gehörte Konzert Tango, in Würselen bei Aachen auf Burg Wilhelmstein als "Open Air " gemeinsam zu genießen.
In Würselen war die Formation "Quadro Nuevo" mit Ihrem aktuellen Programm Tango im vollbesetzten Zeltatrium vor der historischen Kulisse der Burg zu Gast.
Es war wirklich mehr als spannend, wie sich das gleiche Konzertprogramm in anderer Umgebung anfühlt und anhört.
Beim ersten Mal - ein großer, akustisch und sehr gut klingender Theatersaal - und dann konträr die offene, mit einem Zelt überdachte Freilichtbühne vor dieser Burg an einem warmen Sommerabend.
Was passt besser zu einer Mischung aus aufreizender Erotik mit straffen Rhythmen und Tempiwechseln, die fast schwindlig machen um letztlich melancholisch erst kurz vor dem Herzstillstand enden?
Ich kann diese Frage nicht beantworten, da beides Aufführungen, so unterschiedlich die Lokationen auch waren, beides Mal ein gigantisches Erlebnis war.
Wer sich also auf diese Tango-Musik einlässt, kann einen gigantischen Spannungsbogen von unterschiedlichen Gefühlen erleben.
Ob es nur an der Musik oder auch an der Umgebung und der sommerlich warmen Abendstimmung und auf Grund des vorangegangenen Regens recht hohen Luftfeuchte lag, dass wir etwas das Gefühl von Tango in der Hitze von Buenos Aires mit spüren konnten, lässt sich auch nicht erklären.
Was lediglich fehlte, um diese Atmosphäre realistischer zu machen, waren ein paar Tango tanzende Paare.
Im Unterschied zu Karlsruhe ist leider niemand der Aufforderung zum Tanz vom Saxophonisten Mulo Francel am Anfang des Konzertes nachgekommen - schade, dass wäre vielleicht das i-Tüpfelchen gewesen.
Musikalisch spielen die fünf Nuevos auf höchstem Niveau.
Wenn Chris verspielt auf dem Piano beginnt, Mulo ganz weich mit seinem irren Sax-Schmelz einsteigt, Andreas dazu das Bandoneon kunstvoll auf und zu zieht oder Evelyn, für uns unglaubliche Klänge aus der Konzertharfe lockt, oder D.D. seine sechssaitige Sonderanfertigung von Kontra-Bass zupft, wie ein Cello mit dem Bogen spielt oder anders als Rhythmusgerät einsetzt, dann umschließt einen diese Musik auch völlig ohne Tanz. Ein Blick zurück ins Publikum entschädigt allerdings sofort für die fehlenden Tänzer, da sich dort alle "in" oder "mit" der Musik bewegen.
So tanzt quasi das Publikum, allerdings mal mehr oder weniger gut ;-)
Nachdem ich das Album seit dem Karlsruher Konzert schon oft gehört habe und mir die Musik bestens bekannt war, konnte ich mich nun beim zweiten Konzert mehr auf weitere Details konzentrieren.
Die Arrangements, die eingesetzten Instrumente und die Art und Weise, wie diese gespielt werden und auch die Reihenfolge der Titel, lassen mich den Tango mehr als ein gesamtes Kunstwerk verstehen. Mir fiel mehr noch als beim ersten Konzert in Karlsruhe auf, wie viel Wert hier auf Details gelegt wird.
Langsam glaube ich, dass ich beginne, die Tangomusik und die Begeisterung ihrer Anhänger besser zu verstehen. Der Tango bietet viele Facetten in Einem.
Grobe, robuste und fast animalische Dynamik im Wechsel mit sensiblen, filigranen, zerbrechlichen leidenschaftlichen Bewegungen erzeugen eine eigene Faszination, ein Wechselbad der Gefühle und erotischen Spannungsbogen.
Die musikalische Umsetzung ist gelungen. Jeder Musiker findet ausgiebige solistische Passagen, in denen er sein Können frei mit Improvisationen, ganz Jazz-like, zeigen kann.
Dann gibt es viele Variationen von Duette, Terzette und Quartette in fast allen Kombinationen, welche immer wieder neue Klangvariationen und Stimmungen erzeugen.
Die Detailarbeit geht dabei so weit, dass ganz gezielt die Klappen und Tastengeräusche der Instrumente als klangliches Element mit eingesetzt werden.
Musikalisch ergänzen seltene Instrumente wie Bassklarinette, Vibradoneon und das "Hackbrett" das Klangspektrum.
Aber auch der Einsatz der Standard-Instrumente geht über die normale Nutzung hinaus.
So zum Beispiel "schrabbt" D.D. in der einen Sekunde noch so mächtig und hart über seinen Bass, dass er von der eben noch angesprochenen Feinheit meilenweit entfernt ist - um im nächsten Moment, das eben noch "geschundene" Instrument liebevoll mit dem Bogen wie ein Cello zu streicheln. Ein Wechselspiel, dass sich in allen Stimmen wiederfindet und auf den Zuhörer überträgt.
Mir stellt sich dabei gerade, wenn ich über das Gehörte nachdenke, die Frage: ist Tango nicht eigentlich purer Jazz?
In lustigen Anekdoten und Geschichten, von denen es einige auch auf einem Hörbuch zur Reise geschafft haben, erzählen die "Quadros" zwischen den Titeln von ihrem Schaffen und Erlebnissen.
Diese kurzweiligen Erzählungen und Informationen unterhalten und lassen den ohne hin schon viel zu kurzen Abend noch kürzer erscheinen.
Bei Quadro Nuevo merkt man stetig die langjährige gemeinsame Live-Erfahrung. Sie verstehen es perfekt mit dem Publikum zu interagieren oder sich mit wenigen, kaum wahrnehmbaren Blicken oder Gesten abzustimmen.
Besonders wichtig ist Ihnen immer der direkte Kontakt mit ihrem Publikum.
Wenn nicht gerade Instrumente nachgestimmt werden müssen, findet man die fünf fast immer in der Nähe des Verkaufsstandes, wo sie gerne für Autogramme und Fragen zur Verfügung stehen.
Im diesem Konzert spielten sie neben eigenen Kompositionen auch interessante Bearbeitungen bekannter Tango-Komponisten wie z.B. Fuga y Misterio oder den Libertango von "A. Piazola" den es in der Zugabe zu hören gab und der mit Standing Ovations vom begeisternden Publikum endete.
Nach dem sehr kurzweiligen Konzert, noch mit dem Live-Klang im Ohr, "mussten" ich gleich die Aufnahme des Albums Tango auf der Anlage und auf dem Kopfhörer anhören.
Zum einen war ich wieder mal erfreut, wie gut ich doch schon zu Hause hören kann, zum Anderen fielen mir gleich auch ein paar Unterschied zwischen der gut gemachten Studioaufnahme und dem eben Live gehörten Konzert auf.
Live ist halt doch anders - wen hätte es auch gewundert!
Das Album ist meiner Meinung nach wirklich sehr gut gemacht, jedoch das Besondere des Live-Flairs fehlt mir. Vielleicht gibt es ja auch irgendwann einmal einen guten Live-Mitschnitt.
Beim Titel Gallo Giego, dem alten Hahn, kamen mir Assoziationen mit dem Titel Alt Wien von "Cobario" in den Sinn, da auch hier "Kaffeehaus"-Passagen mit eingeflossen sind.
Mit dem Programm Tango zum gleichnamigen Album ist "Quadro Nuevo" den Rest des Jahres noch zu unzähligen Terminen auf Tour.
Die entsprechenden Infos gibt es auf der Homepage von Quadro Nuevo.
Folgenden Konzert-Tipp möchten wir Euch gerne ans Herz legen.
Neben dem Tango hat es sich "Quadro Nuevo" auch zur Aufgabe gemacht hat, Kindern jazzige Musik zugänglich zu machen. Aus diesem Grunde gibt es in vielen Städten im Rahmen des Gastspiels noch ein Kinderkonzert mit Kinderliedern, die eigens jazzig bearbeitet wurden.
Diese CD, die gerade bei mir läuft, ist musikalisch sehr gelungen und kann sicher helfen, Kinder für gute Musik zu begeistern. Also das ist aus meiner Sicht ein super Tipp, sollte ein Konzert in der Nähe sein und auch ein Kinderkonzert gespielt werden, gönnt Euch dieses mit Euren Kids - es lohnt sich.
Wichtig: rechtzeitig reservieren, die Karten sind in der Regel sehr schnell vergriffen.
"Quadro Nuevo" und Westdrift-Audio
Protagonisten des Tango
Alle, die lieber nur Bilder schauen und nicht so viel lesen wollen, haben hier die Gelegenheit dazu.