Canticle of the Sun 

Sofia Asgatowna Gubaidulina

 

Komposition 1997

Erschienen: bei ECM München am 27.1.2012

 

 


 

Canticle of the Sun (ECM - 2012)

 Sofia Asgatowna Gubaidulina

Eine musikalische Besonderheit  aus meiner Sicht) stellt das Album:

Canticle of the Sun der Komponistin Sofia Asgatowna Gubaidulina dar.

 

Hier gleich vor weg, diese sehr spezielle Musik ist alles andere als Mainstream, aber meiner bescheidenen Meinung nach sind die Kompositionen dieser Künstlerin musikalisch ein absoluter Leckerbissen. Gut audiophil Umgesetzt sind sicher klanglich interessant, für jeden der sich einlässt und ein Ohr dafür entwickelt.


Die Besetzung mit Violonchello, Kammerchor, Percussion und Chelesta bzw. Violine Streichorchester und Percussion gibt es so schon mal nicht alle Tage. 

Dieser Musik ein Genere zu zuweisen fällt mir sehr schwer. Moderne Klassik würde ich das am ehesten nennen, was wir hier hören. Vollkommen durchkomponiert und nichts dem Zufall überlassen, auch wenn dieses manchmal so erscheint, verleiht dieser Musik ein gewisses Alleinstellungsmerkmal. 


Auf der hier angesprochenen CD, hat die russische Komponistin Sofia Gubaidulina in zwei unterschiedlichen Werken, sehr modern mit Tönen herum experimentiert ohne dass dies nach Experimentalmusik klingt.


Die dabei entstandene Kost ist, wie manches gute Gericht aus der Molekular-Küche das in super guten Restaurants angeboten wird, nichts für jeden Tag und jedes Ohr.


Nebenher oder nur einmal hören der Aufnahme, geht nach meinem Verständnis gar nicht. Die Musik fordert die Aufmerksamkeit des Hörers, will man ihre Intention und speziellen Eigenheiten wahrnehmen und verstehen.

 

Es werden durch Kombination von Tönen und Ton und Klangintervallen weitere Töne und Pulsationen erzeugt, die erst nach mehrmaligem Hören eigenständig wahrnahm. Ganz anders als Pop und Rockmusik, begann sich diese Musik mir erst nach und nach zu erschließen und ich entdecke bei jedem hören, mit etwas zeitlichem Abstand, neue Facetten.


Hier zeigen sich meiner Meinung nach auch die Fähigkeiten der angeschlossenen Wiedergabekomponenten. 


Es bedarf sicherlich nicht einer Hifi-Anlage der Referenzklasse, auch wenn diese sich mit den Anforderungen etwas einfacher tun, um diese Musik zu erleben. Das Herausarbeiten der in sich klingenden Dissonanzen und die sich auflösenden Harmonien erfordert jedoch eher eine audiophil ausgerichtete Kette.


Dabei meine ich die Fähigkeiten einer Anlage, auch bei leisen Passagen, Details und Räumlichkeit auf zu bauen und diese Spannung in den Höhen und Tiefen aufrecht zu erhalten, damit sich die Leichtigkeit und Transparenz der Musik frei entfalten kann. Eine gute Möglichkeit ist auch das Hören mit einem guten Kopfhörer. Damit ist es meiner Meinung nach auch deutlich einfacher sich auf diese Musik zu konzentrieren und einzulassen.


Das erste Werk auf der CD "Die Leier des Orpheus" lebt von der Übereinstimmung eines Intervalls und dem von Ihm erzeugten Differenztons. 

Dazu auch etwas Hintergrundinfo aus dem Klappentext: zwei beliebige gleichzeitig erklingende Töne, erzeugen akustisch einen Summations und Differenzton. Es erzeugt zum Beispiel eine kleine Sekunde in der Kontraoktave einen Differenzton, der eigentlich kein Ton mehr ist, sondern eine rhythmische-metrische Pulsation.

Wir hören vielleicht bis ca 20 Hz. Danach kommt bis ca 10 Hz eher ein akustisches "Niemansland". Und unterhalb von 10 Hz ist ein Ton noch eine Abfolge von Impulsen, die nicht hörbar aber doch vorhanden ist. 

Die Künstlerin Sofia Gubaidulina hat es besonders fasziniert, dass diese Pulsation, wenn man diese einmal in den hörbaren Bereich projiziert in einer Relation zum klingenden Intervall steht.


Den Umstand, dass man diese doch unhörbaren Töne wahrnimmt, hat die Komponistin als Impuls genommen und sie hat einige dazu einige interessante Überlegungen im Vorfeld der Komposition durchgeführt und erfreulichere Weise nachfolgend auch musikalisch umgesetzt. 

Wir können beim Hören den tiefen Zusammenhang von zeitlich ablaufenden und klanglichen Prozessen erleben, aber auch den formgebenden Faktoren, welchen sie sich bedient. Sie erkannte als solche Faktoren beispielsweise zwei gleichzeitig erklingende Intervalle; eine kleine Sekunde und eine reine Quinte.

Dann suchte Sie die richtige Tonhöhe, bei der die Differenztöne zu zwei verschieden pulsierenden Geschwindigkeiten führen und eine metrische Einheit bilden. 




Dieser recht komplexe Sachverhalt, geschieht scheinbar jedoch nur in 2 Fällen.


Dem Intervall es-d, (tiefes d), mit e-a, (tiefes h )und b-a (sub a), mit h-e (tiefes e). Ich hoffe, ich habe  dies richtig aus den kleingedruckten Noten heraus gelesen, die im Klappentext abgedruckt wurden. 

Die Differenztöne stehen somit in einer reinen Quinte zu einander. 

Es ergebenden sich somit Differenztonpaare. Zusammengefasst über den Raum einer Oktave ist dies Tonfolge: a-d-e-a.

Diese Suche nach einfachen Tonverhältnissen innerhalb eines Tempos führte die Komponistin zu einem Akkord, den man auch die "Leier des Orpheus" bezeichnet.

Es sind dies die Grundintervalle des pythangoresischen Systems.

 






Dies bilden gleichzeitig die Basisstruktur eines

"Tetraktys" (Vierergruppe, Zahlenverhältnis 6,8,9,12).


Von dieser Struktur ließen sich auch diverse Renaissancekünstler wie z.B. Raffel begeistern. Beeinflusst wurde dadurch auch im Weiteren die Entwicklung des europäischen musikalischen Denkens. 

In

der Musiktheorie spielt Tetraktys deshalb eine zentrale Rolle, da man darin den Schlüssel zum Verständnis der Weltharmonie sah.

 

Man nimmt an, dass die Seiten des legendären Sängers Orpheus in dieser Weise (d-a-e) gestimmt waren. 


Es ist folglich so, als ob die Saiten der Leier auf die Pulsation des Differenztones der vorhergehenden kleinen Sekunde antworteten und die im imaginären Raum stattfindende Pulsation im uns zugänglichen Tonraum hörbar wird. 

 

Das Stück die Leier des Orpheus war dabei ein Auftragswerk des Basler Festivals " Les museiques" und wurde am 6. juni 2006 in Basel uraufgeführt. Also folglich gilt dies als sehr modern und ist auf jeden Fall etwas anderes.

 

Das zweite Werk der CD, „Canticle of the Sun“, der Sonnengesang, ist dem Cellisten Mstislaw Rostropowitsch (gilt als der Größte seines Fachs des zwanzigsten Jahrhunderts) zu seinem 70. Geburtstag gewidmet.


Das Werk spielgelt dabei den Charakter des Künstlers: Sonne, Sonnenlicht und Energie wieder. Die ungewöhnliche spirituelle Kraft und tiefe des Cellos beeindruckt in diesem Fall Sofia Gubaidulina so sehr, dass Sie sich als Textvorlage den Sonnengesang des hl. Franz von Assisi auswählte. Verstärkt wird dieser ohne hin beeindruckende Gesang durch die spannende Darbietung.


In der Komposition wird der Text nicht fröhlich gesungen, damit nicht durch die Musik dessen Kraft verstärkt oder beeinträchtigt wird. Auch darf die Musik nicht künstlich übertrieben, kompliziert oder spannungsvoll wirken, damit nicht der Ausdruck gestört wird. Ein einfacher bescheidener Mönch, der seinen Schöpfer und die Schöpfung verherrlicht wird dargestellt. Die Partie des Chores wir dabei sehr zurückhaltend und unscheinbar abgebildet. Die Schlagzeuger und Cellisten erhalten die Expressivität der Szene. Die Choristen reagieren lediglich auf diese. 


Das Werk welches formal in 4 Abschnitte aufgegliedert ist, zeigt eine selten dargebotene Vielfalt der Instrumentierung und des Chores. Interessant ist zum Beispiel, wenn der Cellist die C Saite herunter spielt und mit einem Holzschlägel den Steg spielt um dann sein Instrument komplett zu verlassen und mit dem Kontrabass bogen auf einem Felxaton oder mit einem Friktion Schlegel auf der großen Trommel spielt. 


Er provoziert damit Antworten des Chores, der mit dem Sonnengesang hier auf höchstem Niveau stimmlich und klanglich agieren muss. Im Letzten Abschnitt kehrt er dann zu seinem Cello zurück um dann bei der Verherrlichung des Todes sein höchstes Register zu ziehen.


Den außergewöhnlichen Dirigenten des Chores "Kamer" aus Riga (u.a. Gewinner vieler Int. Preise z.B. der Chor Olympiade ja. so was gibt’s), Maris Sirmais, kenne ich von gemeinsamen Workshops seit einigen Jahren persönlich. 

 

 

 

Solltet Ihr irgendwo einmal die seltene Chance haben diesen Chor live zu hören, so solltet ihr diese Gelegenheit auf jeden Fall wahrnehmen. Eine solche Qualität an Chormusik bekommt man äußerst selten zu hören. Die Empfehlung gilt auch, für die nicht in erster Linie auf Chormusik stehen.


Zur Aufnahme:

Juli 2006 - e Lyre of Orpheus

Juli 2010 - The Canticle of the Sun at the Lockenhaus Festival

 

Tonmeister: Peter Länger

ECM Produkion München 2012


Damit Ihr Euch gleich ein Bild dieses außergewöhnlichen Werkes machen könnt, hier ein Beitrag aus youtube:

 

 

interessante Links zur Aufnahme

Link zur Künstlerin: Sofia Asgatowna Gubaidulina

Link zum Label: ECM München

Link zum Chor: Kamer, Riga, Lettland

Link zum Dirigenten: Maris Sirmais

Text: Sonnengesang Franz von Assisi